In fünf Ausgaben der Zeitschrift „Hausbesitzer“ erschien eine Reihe von Dr. Agnes Dormann zu aktuellen und praxisrelevanten Fragen der persönlichen Vorsorge, welche der Leserschaft anhand der Geschichte einer fiktiven Familie die verschiedenen Bereiche der persönlichen Vorsorge näher brachte. Diese Reihe wird mit freundlicher Genehmigung des „Hausbesitzers“ an dieser Stelle im Intervall von 14 Tagen veröffentlicht. Heute: Teil 4 – Erben.
Liliane Winzer-Vizou (78) hat sich in der Zwischenzeit vollständig von ihrer Corona-Erkrankung erholt. Sie geniesst mit ihrem Ehemann Franz (79) das ruhige Leben in ihrem Einfamilienhaus in Riehen. Eines Tages wird bei Franz Leberkrebs diagnostiziert. Trotz sofortigem Therapiebeginn erliegt Franz seiner Erkrankung nach nur 3 Monaten. Das Erbschaftsamt fordert die Angehörigen auf, ein allfälliges Testament und/oder einen Erbvertrag einzureichen. Liliane reicht ihren Ehe- und Erbvertrag aus dem Jahr 1991 ein. Einige Tage später findet sie beim Aufräumen ihres Hauses einen mit „Testament, 18. Juli 2021“ beschrifteten Umschlag, und reicht diesen tags darauf ebenfalls beim Erbschaftsamt ein. Das Erbschaftsamt versendet Kopien beider Dokumente an die darin begünstigten Personen, womit der Ehe- und Erbvertrag als auch das Testament als eröffnet gelten.
Im Testament hat Franz seine Tochter Clara als seine Alleinerbin eingesetzt, weil sie ihm in den letzten Jahren so wertvolle Unterstützung geleistet habe. Im Ehe- und Erbvertrag unterstellten sich die Ehegatten dem Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft und setzten die gemeinsamen Kinder auf den Pflichtteil. Der überlebende Ehegatte wurde somit güter- und erbrechtlich meistbegünstigt: 13/16 des Gesamtguts und damit des gesamten ehelichen Vermögens sollten an den überlebenden Ehegatten gehen, den Kindern sollten nur 3 /16 (ab 1.1.2023 nur noch 2/16 resp. 1/8) zukommen. Mit seinen testamentarischen Anordnungen verletzt Franz somit zum einen die Pflichtteilsrechte von Anthony, aber vor allem auch die erbvertraglich vereinbarten Ansprüche von Liliane. Da Franz im Zeitpunkt der Testamentserrichtung jedoch bereits stark dement war, könnten die gesetzlichen Erben das Testament zudem wegen fehlender Urteilsfähigkeit des Erblassers anfechten.
Liliane und Anthony entscheiden sich, sich gegen das Testament zur Wehr zu setzen. Damit vorläufig keine Vermögenswerte an Clara übertragen werden, erheben sie innert der gesetzlichen Frist von 30 Tagen eine Einsprache beim Erbschaftsamt. Sollte Clara nicht freiwillig auf ihre Ansprüche aus dem Testament verzichten, müssten die beiden anderen Erben innert eines Jahres seit Eröffnung des Testaments beim Zivilgericht resp. der Schlichtungsbehörde eine Ungültigkeitsklage gegen Clara einreichen. Ferner müssten Anthony eine Herabsetzungsklage, mit der er seinen Pflichtteil von Clara herausverlangen, und Liliane eine Herabsetzungsklage aus dem Erbvertrag, mit der sie von Clara die Ausrichtung von 5/16 des Gesamtgutes aus Erbrecht verlangen würde, ebenfalls gegen Clara einreichen. Die Hälfte des Gesamtgutes hat sie sowieso vorab aus Güterrecht zu Gute.
Wegen des Ehevertrags besteht der Nachlass von Franz Winzer-Vizou aus der Hälfte des Gesamtguts. An diesem Nachlass erhält Liliane wegen der erbvertraglich vereinbarten Erbfolge neben ihrem Pflichtteil von ¼ auch noch die frei verfügbare Quote von 3/8, somit 5/8 an der Hälfte des Gesamtgutes, was 13/16 am Gesamtgut entspricht. Glücklicherweise ist sich die Familie einig, und Clara verzichtet darauf, das Testament ihres Vaters durchzusetzen.
Mit Abschluss des Ehevertrages, mit dem sich die Ehegatten Winzer-Vizou dem Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft unterstellten, ging das Eigentum an allen Vermögenswerten beider Ehegatten (auch beispielsweise am Einfamilienhaus in Riehen, welches vorher im Alleineigentum von Franz stand) ohne Eintrag im Grundbuch ins Gesamteigentum der Ehegatten über. Welche Auswirkungen der Tod von Franz auf die Eigentumsverhältnisse und die Aufteilung des Gesamtguts hat, wird im nächsten Beitrag erläutert.