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Müssen die Mieter von Geschäftsräumlichkeiten während des Lockdowns den Mietzins bezahlen, obwohl sie ihre gewerbliche Tätigkeit in den Geschäftslokalitäten nicht, oder nur unter restriktiven Auflagen, ausüben dürfen? Können die laufenden Geschäftsmietverträge angesichts der veränderten wirtschaftlichen Lage ausserordentlich gekündigt oder neu verhandelt werden? Und ist die Vertragserfüllung überhaupt noch möglich

 

Diese Fragen spalten Politik und Rechtswissenschaft seit dem Ausbruch der Corona-Krise. Die Rechtsunsicherheit ist gross. Die betroffenen Interessenverbände – MieterInnenverband einerseits, SVIT, HEV und andere Verbände der Immobilienwirtschaft andererseits – haben gutachterliche Stellungnahmen veröffentlicht, die zu diametral gegensätzlichen Schlussfolgerungen kommen.

Alle Beteiligten sind sich darüber einig, dass die wirtschaftlichen Folgen der Krise am besten durch die Erarbeitung eines Kompromisses, gemäss welchem die Last auf mehrere Schultern verteilt wird, abgefedert werden sollen. Der Bundesrat hat allerdings darauf verzichtet, die kontroverse Frage der Mietzinszahlungspflicht per Notrecht zu regeln, um nicht in bestehende Privatrechtsverhältnisse einzugreifen. Die Bundesversammlung hat das Heft in die Hand genommen, konnte aber in der Sondersession vom 4. bis zum 7. Mai 2020 keine Einigung erzielen. Die politischen Fronten sind verhärtet. Die Knacknuss ist, welcher Anteil des Mietzinses für welchen Zeitraum und unter welchen Voraussetzungen den krisengeplagten Mietern erlassen werden soll. Unklar ist auch, ob sich der Staat an einem Ausgleich der Verluste beteiligen soll.

Die “politische Lösung” wird voraussichtlich, in guter schweizerischer Tradition, erst zu einem späteren zustande kommen. Dies soll uns allerdings nicht von der Grundsatzfrage ablenken: was sagt das geltende Recht?

Wir haben die Rechtslage ohne die Brille der Politik untersucht. Unsere Überlegungen zu Auswirkungen der Notmassnahmen in der Corona-Krise auf Geschäftsmietverträge sind Anfang Mai im Heft 1 | 2020 der Zeitschrift MietRecht Aktuell erschienen.

Unsere Analyse hat Folgendes ergeben:

Der Lockdown als Mangel des Mietobjekts?

Das zur Eindämmung des Coronavirus angeordnete Veranstaltungs- und Publikumsöffnungsverbot (Lockdown) führt nicht zu einem Mangel des Mietobjekts. Der Lockdown schränkt die publikumsgerichtete Geschäftstätigkeit des Mieters, und nicht deren Ausübung im Mietobjekt, ein. Es besteht kein Zusammenhang zwischen der Störung im Gebrauch und dem Mietobjekt. Die zum vereinbarten Gebrauch vorausgesetzte Gebrauchstauglichkeit des Mietobjekts wird von den Notmassnahmen nicht berührt.

 

Ist die Miete geschuldet?

Da das Mietobjekt nicht mangelhaft ist, ist der volle Mietzins geschuldet. Eine Mietzinsreduktion kommt nur bei Vorliegen von besonderen Vereinbarungen oder Zusicherungen, etwa betreffend den Umsatz im Mietobjekt oder die Kundenfrequenz, in Betracht.

 

Kündigung des Mietvertrages aus wichtigem Grund

Der plötzliche und wuchtige Ausbruch der Wirtschaftskrise, die durch die Corona-Pandemie aus-gelöst worden ist, hat das Potenzial, als wichtiger Grund im Sinne Art. 266g OR eingestuft zu werden. Eine ausserordentliche Kündigung zur vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses kann somit zulässig sein. Die Partei, welche sich auf den Kündigungsgrund “Corona” beruft, trägt die Beweislast für die Erfüllung der Kündigungsvoraussetzungen, allen voran für den unerwarteten Umsatzeinbruch, der substanziell (ein Drittel) und dauerhaft (mindestens sechs Monate) sein muss. Mit Blick auf die staatlichen Unterstützungsmassnahmen dürfte der Beweis nicht leicht zu erbringen sein.

Bei einer Kündigung aus wichtigem Grund wird das Vertragsverhältnis nach sechs Monaten aufgelöst. Die kündigende Partei wird zudem schadenersatzpflichtig. Angesichts des Beweisrisikos und der Rechtsfolgen dürfte Art. 266g OR in der Corona-Krise eine geringe praktische Rolle spielen. Für den Mieter als kündigende Partei dürfte eine solche nämlich nur dann in Betracht kommen, wenn der Betrieb aufgegeben werden soll.

 

Richterliche Anpassung des Mietvertrages

Das ausserordentliche Kündigungsrecht gemäss Art. 266g OR ist die vom Gesetzgeber getroffene Regelung für den Fall der Vertragsanpassung an veränderte Verhältnisse im Mietrecht. Kündigungsfrist, Vertragsauflösung und Schadenersatzpflicht sind Elemente, die bei einer vorzeitigen Vertragsbeendigung zwingend zu beachten sind. Es besteht kein Spielraum für die subsidiäre Anwendung einer richterlichen Vertragsanpassung (clausula rebus sic stantibus). Ausserhalb des Anwendungsbereichs von Art. 266g OR wäre eine solche zudem praktisch nicht umsetzbar.

 

Auflösung des Mietvertrages wegen Unmöglichkeit der Vertragserfüllung

Der Ausbruch der Pandemie macht die Erfüllung der mietvertraglichen Verpflichtungen nicht unmöglich. Die Zahlung des Mietzinses und die Überlassung des Mietobjektes zum Gebrauch bleiben von den Massnahmen im Zusammenhang mit dem Lockdown unberührt. Zudem fehlt es am Erfordernis der dauerhaften Leistungsverhinderung.